Armut und Lebensbedingungen in Europa
Laut Statistischem Bundesamt (Destatis) waren im Jahr 2005 durchschnittlich 16 Prozent der EU-Bevölkerung von Armut gefährdet. In Deutschland waren es nur drei Prozentpunkte weniger: ganze 13 Prozent der Deutschen Bürger standen am Rande der Armut, das sind knapp 10,7 Millionen Menschen.
Zu diesem Ergebnis kam die europaweit durchgeführte Gemeinschaftsstatistik über Einkommen und Lebensbedingungen (EU-SILC 2006), die neue EU-weite vergleichbare Datenquelle über Armut und soziale Ausgrenzung. Für die Studie wurden rund 200.000 private Haushalte in der Europäischen Union befragt, allein in Deutschland waren es 13.799 Haushalte. Die Art der Durchführung der Erhebungen ist per EU-Verordnung geregelt und hat das Ziel, durch konkrete Umfragen genauere Daten zu erhalten, um mit diesen eine effektive Armutsbekämpfung auf EU-Ebene umsetzen zu können.
Die Studie ergab interessante Erkenntnisse. So liegt der Schwellenwert für Armutsgefährdung für Alleinlebende in Deutschland bei 780 Euro im Monat. Dieser Wert ist dagegen in Luxemburg fast doppelt so hoch: bei monatlich weniger als 1.484 Euro gilt ein Luxemburger bereits als armutsgefährdet. In Skandinavien befinden sich sehr viele der 18 bis 24-Jährigen unter der Armutsschwelle: so leben in Dänemark 35 Prozent, in Schweden 30 Prozent und in Finnland 24 Prozent der jungen Bevölkerung am Existenzminimum. Auch viele Rentner werden von Altersarmut bedroht. In Deutschland ist jeder achte Pensionär armutsgefährdet, in den Oststaaten Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn oder Slowenien ist hingegen nur jeder zehnte Ruheständler betroffen. Europaweit gesehen gefährdet die Altersarmut fast jeden sechsten Bürger.
Nimmt man die oben genannten 780 Euro Nettoeinkommen pro Monat, welche in Deutschland die Grenze zur Armut definieren, so wird angesichts der durch die hohe Inflation aktuell steigenden Lebenshaltungskosten schnell klar, wie prekär die Lage für die Betroffenen ist. Ihren Lebensunterhalt können sie kaum alleine bestreiten, aber auch auf Kredit leben, geht für sie nicht, da sie von keiner Bank als kreditwürdig eingestuft werden.
Vor allem die Arbeitslosigkeit ist Auslöser für finanzielle Schwierigkeiten (negative Sparquote, zunehmendes Kreditvolumen etc.) und erhöht in ganz Europa das Risiko für Armut. In Deutschland stehen 43 Prozent der Arbeitslosen an der Armutsgrenze, EU-weit sind es 41 Prozent und die im Jahr 2004 zur EU beigetretenen Länder Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Slowenien, Malta und Zypern weisen ganze 47 Prozent Gefahrenpotenzial für Arbeitslose auf in die Armut zu rutschen.
Anders sieht es bei den erwerbstätigen Deutschen aus. Nur jeder zwanzigste Bürger über 16 Jahren ist trotz Erwerbstätigkeit armutsgefährdet. Betrachtet man den EU-Durchschnitt, ist jeder dreizehnte Europäer von Armut bedroht, die östlich gelegenen EU-Länder bringen es auf jeden elften Bürger, der an die Grenze der Bedürftigkeit stößt.
Auch die Bildung spielt hierbei eine gewaltige Rolle. Unter den erwerbstätigen Personen ab 16 Jahren, die ihren Abschluss an einer Hoch- oder Fachhochschule absolviert haben, sind in Deutschland gerade mal vier Prozent armutsgefährdet (EU: 3 Prozent).
Angesichts dieser Zahlen wird schnell deutlich, dass die Armutsbekämpfung wichtigste Aufgabe unserer Zeit ist, wie Pabst Benedikt XVI vergangenes Jahr Bundeskanzlerin Angela Merkle in einem Briefwechsel geschrieben hat. Natürlich muss man Armut und Not unterscheiden, denn selbst das, was bei uns in Europa als Armut definiert wird, ist nichts gegen die Lebensumstände von Menschen in der Dritten Welt oder in Entwicklungsländern, wie die Witwe des verstorbenen ehemaligen Staatspräsidenten von Frankreich, Danielle Mitterand mit ihrem Zitat „Armut und Not ist nicht das gleiche“ einmal so treffend beschrieb.
Der Kampf gegen die Armut in Deutschland
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) fordert von der deutschen Bundesregierung Sofortmaßnahmen gegen Armut und für mehr soziale Gerechtigkeit in Deutschland. „Tatsache ist, dass die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer wird und das Armutsrisiko inzwischen bis weit in die Mittelschichten reicht. Der größte Skandal ist, dass Millionen Menschen trotz Arbeit in Armut leben müssen“, sagte DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach bei den Kabinettsberatungen zum Armuts- und Reichtumsbericht Ende Juni in Berlin. Einige Stimmen gehen sogar so weit, die Arbeitgeberverbände, Kungeleien zwischen Wirtschaft und Politik sowie diverse Lobbygruppen als treibende Kräfte für eine steigende Armut zu erkennen, wie es etwa unter „Asozial ist, wer Armut schafft“ beschrieben wird.